Schon seit sehr vielen Generationen machen sich einige Menschen darüber Gedanken, wie sie die verschiedenen Charaktere ihrer Mitmenschen kategorisieren könnten. Die grundsätzliche Schwierigkeit dabei ist natürlich, dass sich so etwas komplexes wie eine ganze Persönlichkeit kaum mit einer von ein paar Schubladen auch nur annähernd vollständig beschreiben lässt. Dennnoch gibt es einige Hinweise, dass nicht alles, was man in diese Richtung tut, total nutzlos ist. Dazu später jedoch mehr.
Von den verschiedenen Typologien, die ich bisher gesehen habe, gefallen mir der Myers-Briggs-Typindikator (MBTI) bzw. der diesem ziemlich ähnlichen Keirsey Temperament Sorter zusammen mit den Big Five, um die es hier aber nicht geht, am Besten. Hierbei handelt es sich um einen 4-dimensionalen Beschreibungsraum, bei dem der Einfachheit halber jede Dimension binarisiert wird.
Ob Menschen eher immer zu einer der beiden entsprechenden Seiten neigen oder eher in der Mitte sind, lässt sich schwer sagen, da es für solche psyschichen Größen keine wirkliche Maßeinheit (im Gegensatz zu beispielsweise Körpergröße in Metern) gibt, und die Skala somit durch das Test- und Bewertungssystem einigermaßen beliebig festgelegt werden kann. Durch die Abbildungsfunktion „Antworten->Zahl“ kann man natürlich eine Normalverteilung oder eine Cauchy-Verteilung erzeugen, eine Gleichverteilung oder etwas bimodales bekommt man jedoch genauso gut hin. (Die Antworten sind ja keine stochastisch unabhängigen Zufallsvariablen.) Der IQ beispielsweise (auch wenn er nichts mit dem MBTI) zu tun hat, ist nur gauß-verteilt, weil er im Vorhinein so festgelegt wird. Die Tests werden so normiert, dass die Mitte bei 100 liegt, und x Prozent der Menschen zwischen 70 und 130 sind. Die sich ergebende Kurve ist also mehr Konvention als absolute Wahrheit. Einige Ansätze (bezogen auch auf den MBTI) gibt es aber natürlich trotzdem. (Gibt es Typen?, Bimodal score distributions and the MBTI: Fact or artifact?, Item response theory) Psychometrie ist halt fies. 😉
Naja, wie auch immer, im Endeffekt gibt es also 4 Kategorien, in denen man jeweils einen von zwei Buchstaben zugeordnet bekommt, wobei es kein „besser“ oder „schlechter“ gibt. Darüber, wie viel Vererbung, Erziehung oder Peergroups ausmachen, oder wie sehr sich sowas im Laufe des Lebens verändert, sind mir bisher leider keine Statistiken bekannt. Aber nun zu den Dimensionen:
- I(ntrovertiert) <-> E(xtravertiert): Diese Unterscheidung ist ja recht geläufig. Manche Menschen mögen viele Sozialkontakte und schöpfen daraus Energie, andere hingegen tanken auf wenn sie für sich sind.
- (I)N(tuitiv) <-> S(ensorisch): Diesen Unterschied finde ich persönlich am interessantesten, weil er nicht so direkt sichtbar ist, jedoch viel ausmacht und zu lustigen Konflikten (auch im Beruf) führen kann. Intuitive Menschen achten viel auf (teilweise abstrakte) Zusammenhänge und auf das große Ganze. Eine Lösung sollte zu dem persönlich gewählten Grundlebensprinzip (z.B. Wahrheit, Liebe, Religion, Wissenschaft, standardkonformer sauberer source code) passen und fällt ganz gerne mal unter der Dusche oder morgens beim Aufwachen plötzlich und ohne explizites Nachdenken ein. Sensoriker konzentrieren sich lieber auf’s Detail und auf praktische Lösungen. Gefunden werden diese oft auch einfach durch Ausprobieren. „In erster Linie soll es halt irgendwie funktionieren.“ sagen sie da, während es die hardcore-intuitiven bei dem Satz alleine schon erschaudern lässt und sie drauf bestehen, dass es wichtiger sei, dass die „wahre“ (hoffentlich viel elegantere) Lösung gesucht wird. Ihnen geht es beispielweise oft eher um Ethik wo der Sensorische von Gesetzen redet, oder um Methoden, Muster, Verknüpfungen, Ursprünge und Grammatik wenn die S-Fraktion sich mehr für Fakten, Daten, direkten Nutzen und Vokabeln interessiert.
- T(hinking) <-> F(eeling): Denker versuchen, Situationen rational zu analysieren. Lösungen sollen gerecht sein. Fühlende Menschen verlassen sich mehr auf ihre Empathie und möchten gerne einen Weg finden, der es vielen recht macht. Frauen sind im Schnitt öfter fühlend, Männer öfter denkend.
- J(udging) <-> P(erceiving): Urteilende (judging) mögen endgültige Entscheidungen und halten an Plänen fest. Wahrnehmende (perceiving) legen sich lieber später fest und sind flexibler/spontaner, was Änderungen angeht
Mit der wissenschaftlichen Exaktheit hält es sich hierbei natürlich in Grenzen. Es geht mir jedoch auch nur darum, dass man mit Hilfe dieser Einteilungen eine grobe Vorstellung von den Möglichkeiten, wie sich andere von einem selbst unterscheiden können, bekommen kann, und so mehr Verständnis für andere aber auch für sich selbst entwickeln kann. Mir selbst als sehr intuitiven Menschen hilft das beispielsweise mit sensorischen Leuten besser klar zu kommen. Früher konnte ich mir gar nicht vorstellen, dass man S sein kann, bzw. dass es so etwas überhaupt gibt. 😉
Durch Unverständnis findet man die Eigenschaften des jeweils anderen dann gerne mal schlecht. Vielleicht macht das, was jemand über einen mit dem jeweils anderen Buchstaben in einer Dimension denken könnte, die Sache ja sogar noch deutlicher:
- I findet, dass E eine aufdringliche Laberbacke ist.
- E hält I für einen abweisenden Einsiedler.
- N findet, dass die Arbeiten von S Frickelei sind, und aus ödem Pragmatismus ohne wirkliches Verständnis für das Eigentliche entstehen.
- S meint, dass N ein realitätsferner Idealist ist.
- T ist von Fs gefühlsduseliger Unlogik genervt.
- F empfindet T als kalt und herzlos.
- J meckert P an, dass er ein planloser Chaot sei und es so nie zu etwas bringt.
- P pupt J zurück an, dass er ein engstirniger Langweiler sei.
- NT sieht in ST Dummheit.
- ST meint hingegen, dass NT ein nutzloser Theoretiker ist.
- NF findet SF oberflächlich.
- SF hält NF für einen Träumer.
Ob der MBTI für Partnervermittlungen („Gegensätze ziehen sich an, Gemeinsamkeiten aus.“) nützlich sein kann, sei mal dahingestellt. In der Job-Beratung könnten aber durchaus sinnvolle Hinweise entstehen, was man sich vielleicht man angucken könnte.
Im Atlas of Type Tables findet man Statistiken darüber, wie sehr die verschiedenen Typen in unterschiedlichen Berufen vertreten sind. Hier zwei der Berufe, in denen es sehr deutlich wird:
Man sieht sofort, dass ein großer Anteil der Schulbusfahrer sensorisch-judging und damit „Guardian“ ist. Psychodramatisten sind eher intuitiv-fühlend.
Den möglichen Kombinationen aus Buchstaben kann man verschiedene Charaktere zuweisen. Auf den oben bereits verlinkten Wikipedia-Artikeln oder hier (oder hier) findet man mehr dazu.
Wenn du dich gerne selbst mal testen möchtest, gibt es im Netz genug Möglichkeiten, wie diesen kurzen Test oder diesen langen Test. Listen über die MBTIs von berühmten Menschen findet man ebenso.
Ich selbst bin übrigens INTJ, wobei sich mein J in letzter Zeit etwas mehr in Richtung P entwickelt. 🙂
Edit (2013-07): Mittlerweile stört mich am MBTI etwas, dass er suggeriert, dass sich die gegenüberliegenden Eigenschaften einer Dimension gegenseitig ausschließen. Ich denke beispielsweise, dass man durchaus gleichzeitig zuverlässig und offen für Neues sein kann. Bei den Big Five ist sowas möglich, wodurch man allerdings die Wertfreiheit des MBTI einbüßt, was aber nicht unbedingt verkehrt sein muss. 😉
Eine weitere Typologie, die mir persönlich sehr gut (eigentlich sogar noch etwas besser) gefällt, ist das System von Gunther Dueck. Darauf wirklich einzugehen, würde hier jedoch viel zu lange dauern, jedoch kann ich seine Bücher sehr empfehlen: http://www.amazon.de/Duecks-Trilogie-2-0-Omnisophie-Supramanie/dp/3642026982