Naturalismus, Kontinua und Mitgefühl

Was soll eigentlich das ganze wissenschaftliche Zeug? Gehts darum, irgendwem Träume, Hoffnung und Sinn wegzunehmen (den Regenbogen zu entzaubern) usw.?

Ganz im Gegenteil!
Für mich persönlich drückt der Wunsch, die Natur zu verstehen, viel mehr die Faszination, die von ihr ausgeht, und den Respekt, den man vor ihr hat, gepaart mit Neugierde und Liebe zur Wahrheit aus. 🙂
Im Beitrag zu neuronalen Netzen hatte ich ja schon erwähnt, dass die natürliche (manchmal sehr einfache, manchmal sehr komplexe) Erklärung für ein Phänomen wesentlich spektakulärer und faszinierender sein kann als ein simples übernatürliches Dogma. (Seit ich weiß, was ein Prisma tut, und dass Sonnenlicht aus verschiedenen Wellenlängen zusammengesetzt ist, finde ich Regenbögen sogar noch schöner.)
Die Vorstellung, es ein bis zwei hundert Milliarden Galaxien mit jeweils wieder mehreren hundert Milliarden Sternen (von denen unsere Sonne einer ist) gibt, und dass die Kohlenstoffatome, aus denen wir bestehen, in vor mehreren Milliarden Jahren explodierten Sternen aus einfacheren Elementen zusammenkernfusioniert wurden, und sich das Leben über sehr lange Zeiträume durch Variation und Selektion entwickelt hat, bringt mich zum Träumen und ist für meinen Geschmack auch wesentlich poetischer als die Schöpfungsmärchen, die ich so kenne. 😉
Außerdem ergeben sich mit jeder Erkenntnis ja wieder neue interessante Fragen.

SupernovaHoffnung? Können mir Ergebnisse wie die stabile Kooperation aus dem Artikel Rache ist ja soo selbstlos…;) viel mehr geben als irgendwelche Mythen. 🙂

Sinn? Kann man sich eh nur selbst suchen, weil es in der Natur keinen universellen gibt. Dazu aber ein anderes mal vielleicht mehr. 😉
Sicher sind die Naturwissenschaften von der Denkart nicht jedermanns Sache, jeder findet andere Dinge cool. Aber auch wenn man sich nicht mit den Details beschäftigen möchte, kann man trotzdem auf persönlicher Ebene sehr davon profitieren. Damit meine ich jetzt gar nicht die aufgrund der technischen Fortschritte möglichen Verbesserungen in Wohlstand und Gesundheit (Man muss ja nur sein jetziges Leben hier in der ersten Welt mit dem vor 300 Jahren oder so vergleichen.). Klar, in klassischer Aufklärungs-Art, leuchtet ein, dass eine Gesellschaft, in denen die Menschen vernünftiger Handeln, also bei Problemen weniger Beten, homöopathische „Mittel“ nehmen (oder sogar empfehlen!) und zu Wahrsagerinnen gehen, sondern tatsächlich Dinge tun, die über den Placebo-Effekt hinaus ihnen und ihren Mitmenschen helfen, insgesamt besser dran ist. (Jemanden, dem mit empirisch erwiesen wirksamen Medikamenten tatsächlich geholfen werden könnte, stattdessen Arnica C30 teuer zu verkaufen, finde ich schon ziemlich schade.) Aber hier meine ich eher, dass man Gelassenheit, Toleranz und Mitgefühl dazugewinnen kann.

Ja, wie das denn?
Im Beitrag zur Willensfreiheit hatte ich schon angesprochen, dass man sich bei der Verabschiedung von eben dieser, wenn man denn möchte, den teilweise echt nervigen Teil vom Schuld-Kram sparen kann.
Es gibt aber selbstverständlich noch mehr. 😉
Bei körperlichen Problemen sieht man ja leicht die biologische Ursache. Psychische Phänomene tut man (besonders wenn man so eine Grinsebacke wie ich ist :D) ja aber ganz gern mal mit „Irrer!“ oder „Stell dich nicht so an.“ ab. Hier kann man (hab‘ ich zumindest) mehr Toleranz und Mitgefühl entwickeln wenn man ein Bischen über diese Themen weiß:

Schizophrenie (nicht zu verwechseln mit einer dissoziativen Identitätsstörung), von der bei momentaner diagnostischer Schwelle, ca. 1% der Bevölkerung betroffen ist, hat eine starke genetische Komponente. Diese kann man bestimmen, indem man sich eineiige Zwillinge, die bei der Geburt voneinander getrennt wurden, anschaut. Persönlich ist das teilweise natürlich schade, aber für solche statistischen Zwecke im Nachhinein echt praktisch, denn man hat die Umweltkomponente (bis auf die pränatale Umgebung) recht gut ausgeklammert. Naja, auf jeden Fall sieht man hier, dass wenn einer der beiden Zwillinge betroffen ist, es den anderen zu 40% auch erwischt. Im Gehirn findet man Dopaminanomalien in einigen Hirnregionen (,gegen die übrigens schwer ist, medikamentös anzugehen, weil man andere Hirnregionen mit beeinflusst, und dann eventuell Parkinson-ähnliche Symptome hervorruft).
Dazu kommt halt, dass es keine feste Grenze zwischen „krank“ und „normal“ gibt. Man kann sich jede beliebige Zwischenstufe von „Mein imaginärer Freund sagt, ich hätte psychische Probleme.“ über „Ich sehe tote Menschen.“ über „Jesus spricht zu mir.“ bis zu „Manchmal steh‘ ich im Bus und phantasiere total abwesend vor mich hin.“ vorstellen.
Dass ich beim Wasser-Trinken früher mitgezählt habe, dass die Anzahl Schlücke 2,4,8 usw. beträgt ist auch noch keine richtige OCD(Zwangsstörung) und wenn ich Poservideos ins Netz stelle ist das noch keine narzisstische Persönlichkeitsstörung, aber eben diese Übergänge meine ich. Klar, wenn es um Jura oder medizinische Entscheidungen geht, muss man öfters mal einfach eine Grenze irgendwo in so ein Kontinuum setzen, aber wo es sich vermeiden lässt, tut man meistens gut daran, es dann auch sein zu lassen.

Depression

Depression ist ja eine Krankheit, zu der man besonders schnell mal „Ach, jeder ist mal mies drauf, jammer nicht so rum, das ist keine Krankheit.“ sagt. Dabei handelt es sich hier nicht um „mal schlechte Laune“ sondern um sehr lange sehr melancholische Zeiträume. Eigentlich ist Depression eine der fiesesten Krankheiten, die man bekommen kann, zumindest für den Zeitraum, in dem sie akut ist. Selbst Leute, denen von einer Tretmine die Beine weggerissen wurden, finden oft noch etwas im Leben, an dem sie sich erfreuen können usw. Depression ist unter anderem allerdings die Unfähigkeit, sich überhaupt freuen zu können (Anhedonie). Hier ist die genetische Komponente jedoch ähnlich hoch wie bei der Schizophrenie (gleiches statistisches Verfahren).
Man hat sogar ein Gen gefunden, dass bei Betroffenen häufiger in einer bestimmten Variante vorliegt. Passenderweise hat es etwas mit Serotonin (Glückshormon/Neurotransmitter) zu tun und sein Transkriptionsfaktor sind Glucocorticoide (Stresshormone). Man ist mit dieser Gen-Variante also bei Stress-Einwirkung wesentlich anfälliger für den Kram.

Das waren jetzt nur zwei kurze Beispiele, aber ich hoffe, der Punkt, auf den ich hinaus will, ist klar.
Wissenschaftliches Verständnis kann dazu beitragen, dass wir Menschen im Alltag mitfühlender miteinander umgehen und nicht mehr so schnell verurteilen. Ale Verhalten (nicht nur pathologische, sondern auch unsere normalen persönlichen charakterlichen Eingenschaften) haben Ursachen (mit immer unterschiedlichen Anteilen und Abhängigkeiten von Nature und Nurture).

Außerdem habe ich noch nie erlebt, das jemand Liebe plötzlich doof fand, nur weil er über Oxytocin („Treuehormon“) und das limbische System (Hirnregion, die viel mit Emotionen zu tun hat) Bescheid wusste. 😉

Love

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4 Gedanken zu „Naturalismus, Kontinua und Mitgefühl

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