Gerade wenn Leute in irgendwas besonders gut sind, sei es irgendeine spezielle Sportart, eine allgemeine athletische Fähigkeit (wie bspw. Explosivkraft), das Spielen eines Musikintruments oder einfach nur im logischen Denken, fragt man sich manchmal ganz gerne, wieviel von dieser Leistung wohl angeboren ist (Talent, Nature, Veranlagung) und wieviel erst im Laufe des Lebens (Training, Nurture, Umwelteinflüsse) dazugekommen ist. („This is ten percent luck, twenty percent skill, fifteen percent concentrated power of will…“)
Auf den ersten Blick scheint die Frage auch vernünftig zu sein, da das Ergebnis sich ja schon aus diesen zwei Komponenten zusammensetzt.
Bei genauerem Nachdenken, merkt man aber schnell, dass an dieser mathematischen Analogie etwas nicht stimmt, denn ohne die richtigen genetischen Voraussetzungen (Körpergröße, Hebel, Anteil an schnellzuckenden Fasern in der Skelettmuskulatur, Anzahl der Beine Oo) wird man auch mit dem besten Training kaum von der Freiwurflinie Dunken können. Wenn Michael Jordan allerdings niemals etwas mit Basketball (oder Sport allgemein) zu tun gehabt hätte, würden seine jump shots vielleicht ähnlich weit am Korb vorbeisegeln wie die deiner Oma. 😉
Es scheint also eher das Zusammenspiel (nicht die Summe) beider Faktoren zu sein, von dem das Ergebnis abhängt. Eine multiplikative Analogie beschreibt es für meinen Geschmack besser:
Ein gleichseitiges Rechteck kann noch so lang sein, die Fläche ist trotzdem Null wenn die Höhe Null ist.
Oder anders: Beim Vortrieb eines Schiffs kann man auch nicht sagen, ob die Schiffssraube oder die Stärke des angeschlossenen Motors wichtiger ist. Wenn eins kaputt ist, kann das andere noch so gut sein, es geht nix.
Falls man sich tatsächlich trauen würde, diese beiden facettenreichen Größen auf jeweils eine eindimensionale Skala, die dazu wohl noch recht willkürlich gewählt wäre, zu projizieren, könnte man beide trotzdem nicht (zumindest nicht ohne wie auch immer herbeiphantasierte Umwandlungsfunktion) miteinander vergleichen. Es wären nunmal unterschiedliche Einheiten. Zusätzlich ist es auch noch definitionsabhängig, was denn nun alles zur Veranlagung gezählt wird. Prinzipiell ist es auch veranlagt, dass man nicht unter Anenzephalie leidet und dass man keine Amöbe ist.
Beim Hochleistungssport ist die Frage noch ziemlich harmlos und oft eher für Talentscouts interessant, wobei natürlich noch mehr an Komplexität dazukommt, da Lernkurven unterschiedlich verlaufen, und sich auch bei quasi gleichem Training verschieden überholen können. Talent ist halt doch keine eindimensionale Größe. Da viele Hochleistungssportler unter Umständen schon recht lange (incl. Frühförderung usw.) sehr optimiert trainieren, kann in solchen Fällen die Veranlagung dann aber den entscheidenen Unterschied machen. Wie sehr es sich dabei optisch Bemerkbar macht, dass man es teilweise mit ziemlich krassen Mutanten zu tun hat, hängt von der Sportart ab. 😉
Wenn es jedoch um alltägliche Dinge geht, kann es schon sein, dass auch wir wissen möchten, ob etwas eher angeboren oder eher nachträglich von Außen zugefügt (Erziehung, Lebensstil usw.) ist. Denken wir nur beispielsweise an Hyperaktivität bei Kindern, Herzinfarktrisiko, IQ, Gesundheit im Alter, Noten im Mathe-Unterricht, psychische Störungen usw. Auch bei all diesen Dingen lässt sich nicht wirklich sagen, was „mehr“ ausmacht, Veranlagung oder Umwelteinflüsse.
Klar, durch Analyse von Statistiken kann man beispielsweise herausfinden, um welchen Faktor das Risiko, bspw. an Multiple Sklerose zu erkranken, höher ist wenn ein Elternteil daran leidet, aber auch dann weiß man nichts genaues, denn Kinder teilen sich mit ihren Eltern meistens nicht nur die Gene, sondern auch die Umwelteinflüsse. Es gibt natürlich Kinder, die nicht bei ihren Eltern aufwachsen. Wenn man über genug solcher Fälle Zahlen bzgl. des zu untersuchenden Phänomens hat, kann man nur diese Auswerten, aber schon während der Zeit im Mutterleib werden sich auch Umwelteinflüsse, die sich viel später immernoch auffällig auswirken können, geteilt, weswegen auch hier eine kleine Restunsicherheit bleibt.
Wenn dir demnächst also jemand erzählen will, irgendetwas sei „nur Veranlagung“ oder „nur Erziehung“ oder sonstwas, weißt du, dass die Zusammenhänge nicht so einfach sind.
Faustregel (nicht belegt, nur ein persönliches Gefühl): Wenn etwas sehr gut läuft, beispielsweise wenn Bodybuilderer/Pianisten/Physiker ziemlich krass gut sind, sagen sie über sich selbst gerne mal, dass sie gar keine „guten Gene“ hätten, sondern sich alles nur hart erarbeitet hätten. Wenn etwas schlecht läuft, beispielsweise wenn jemand Typ-2b-Diabetes hat, sagt er ganz gerne mal, dass er da nichts dafür kann, und alles angeboren sei. Beides scheint mir aber eine Form des self-serving bias zu sein. (Mehr über solche kognitiven Verzerrungen kann im Artikel „Zwei Systeme und nur ein Kopf“ nachgelesen werden.) Klar hat David Garrett auch extrem viel und gut geübt, und viele Leute, denen es gesundheitlich schlecht geht, haben auch einfach nur Pech gehabt, aber wenn man wirklich über Ursachen nachdenken will, kann es praktisch sein, solche „Schuld-Fragen“ wegzulassen.
Im Zweifelsfall kann man dem Anderen leicht vorführen, dass z.B. die Anzahl der Nasenlöcher auch durch Umwelteinflüsse verändert werden kann. Ähm, nein, lieber doch nicht. 😉
Tag Tobias ;),
das fast tägliche Nachschauen, ob ein neuer Beitrag da ist wurde heute belohnt bzw. schon gestern ;).
Ich finde, dass es mal kein besonders in die Tiefe gehender Beitrag ist, aber er passt.
Er passt zur Zeit, in der man (oder nur ich?) sich gerne mal die Frage stellt was war und was noch kommt/ kommen soll und in wie fern man die Dinge überhaupt in der Hand hat oder halt auch nicht.
In diesem Sinne 😉 wünsche ich dir und deiner Familie einen guten Rutsch ins neue Jahr und schöne Grüße!
Moin Marius,
es freut mich natürlich sehr, dass du regelmäßig hier reinguckst, um zu schaun, obs was neues gibt. Wenn du es etwas einfacher haben willst, kannst du auch den RSS-Feed abbonieren: http://daiw.de/DemDobiSeinBlog/?feed=rss2
Jo, der Artikel ist was flacher, aber trotzdem wollte ich meine Gedanken dazu loswerden. 😉
Grüße zurück und dir auch nen guten Rutsch und all sowas. 🙂
hi,
ist der andy. dir wohl besser bekannt als der x-over mrand 🙂
bin beim durchstalken meiner betagten icq liste hier gelandet.
interessant zu lesen.
kann dir eigentlich bei dem thema nur beipflichten. als pädagoge ist man dem dilemma in allen variationen ausgesetzt, was denn nun veranlagt, vererbt, erlernt oder selbst verursacht ist. gerade in „meinem“ bereich der behindertenpädagogik werden verhaltensauffäligkeiten fast immer der „behinderung“ (sprich meist: neurologischen ursachen) zugeschrieben, obwohl es in meinen augen oftmals nur die reaktion des jeweiligen auf das ihm gegenüber gebrachte (veränderte, „behindertengerechte“) verhalten von seiner umgebung (eltern, etc.) ist. es heisst dann meist: „er ist halt so, er ist behindert“
greets
Oh, du hier. sehr cool. Ich hoffe, dir gehts gut. 🙂
Ja, man neigt leider dazu, Leute in „behindert“, „normal“ oder „Genie/Supertalent“ einzuteilen, und bei den beiden äußeren Kategorien dann einfach „Tjoa, ist halt so.“ zu sagen, obwohl es eigentlich fast alles Kontinua sind. 🙂
Zu ergänzen wäre noch, dass Veranlagung eine höhere Bedeutung erlangen müsste, wenn man das Training nicht weiter optimieren kann. Wenn also allgemein ein Training professionell ausgerichtet wird und eine starke Frühförderung vorliegt, dann können solche Veranlagungen den wesentlichen Unterschied machen. Vielleicht werden deswegen im Sport auch immer mehr Leute wie zB Phelps auftauchen, der durch große Füße etc genetische Besonderheiten aufweist.
Oha, ich fühle mich natürlich geehrt, dich hier zu sehen. 🙂 Danke für den Hinweis. Habs direkt ergänzt.