Gesundheit | Tricking-FAQ


Hilfe, mein Knie tut weh!

Ab zum Arzt. Falls der Arzt dir ein Jumpersknee/Patellasehnenspitzensyndrom attestiert, versuch ein paar Behandlungen beim Physiotherapeuten auf Rezept rauszuholen.

Wenn du selbst schon etwas Ahnung vom Krafttraining hast und schon die wichtigstens Google-Ergebnisse bezüglich Jumpers Knee http://www.google.de/search?q=jumpers+knee durchgelesen hast, können diese Zusatzinformationen vielleicht nützlich sein:


Das gute alte Jumpers knee. Ich weiß nicht, wie weit Ihr mit eurer Anatomie da vertraut seid, deshalb fange ich mal von vorne an. Die Patellasehne überträgt die Kraft vom Beinstrecker (Oberschenkelvorderseite/Quadrizeps) über das Kniegelenk auf den Unterschenkel. Hier könnt ihr die Sehne und die Stelle, wo es meistens weh tut, sehen Und hier ist der Quadrizeps mit seinen einzelnen Köpfen. (Die Köpfe werden hinterher noch wichtig.)

Die Patellasehne wird zwangslaeufig bei jedem Schritt/Sprung unter spannung sein, das lässt sich auch durch Training oder sonstwas nicht ändern. Allerdings sind Sehnen ja auch dafür gemacht, nur unter bestimmten Umständen machen sie Probleme.

Das kann hier viele unterschiedliche Ursachen haben.


1) Zu hohe Ruhespannung im Quad

D.h. die Sehne kann sich in den Ruhephasen nicht gut genug von den Belastungen im Training erholen, weil die Ruhespannung des Quadrizeps zu hoch is, und damit die Sehne auch immer ein bisschen zu viel gespannt ist. Da hilft natürlich nur, die Ruhespannung zu senken - Das geht durch statisch entspanntes dehnen des Muskels. Übungen dafür kennt Ihr wahrscheinlich, aber hier sind noch ein paar Beispiele: (Kissen unterlegen)

Sowas sollte man am besten nach dem Training oder irgendwann zu Hause machen. Vor dem Training ist gar nicht soo entscheidend. Dehnen allein reicht aber selten aus wenn Verhärtungen in der Muskulatur sind. Und ihr könnt euch ja vorstellen, was es bringt, wenn man ein Gummiband mit einem Knoten drin

noch weiter dehnt.

Deshalb ist es sinnvoll etwas gegen die Knoten zu tun. Einen Physiotherapeuten, der bei einem ständig so eine myofasziale Releasetechnik anwendet, kann man sich kaum regelmäßig leisten. Aber zum Glück kann man auch alleine daran arbeiten, und zwar mit Bindegewebslockerung / Soft tissue work / Selbstmassage / Rollen / self massage / self myofascial release

Das Quadrizepsgewebe solltet ihr also aus allen Winkeln richtig gut weichrollen und danach dehnen. Das alleine hilft schon ziemlich oft. Man muss es nur regelmäßig durchziehen auch wenn es unangenehm ist.

Eine Entspannungtechnik zu erlernen (z.B. progressive muskelrelaxation) is eventuell auch nicht verkehrt. Ernährung spielt auch natürlich, wie bei fast allen so chronischen Geschichten, auch eine Rolle, da auch Sehnengewebe nur regenerieren kann wenn genug Nährstoffe zur Verfügung stehen. Also ordentlich essen und trinken.

Der zweite mögliche Grund ist eine muskuläre Disbalance. Davon gibts in dem Fall zwei Möglichkeiten:


2) Disbalance VM/VL

Meistens ist der äußere Kopf des Quadrizeps (vastus lateralis) zu stark und der Innere Kopf (vastus mediales) zu schwach. Das bewirkt, dass die Patella nicht genau auf ihrer Führung laufen kann, sondern von dem äußeren Kopf zu stark nach außen gezogen wird. Man sollte also versuchen, die Spannung im äußeren Kopf zu verringern, also besonders den Quad in seiner funktion als Hüftbeuger dehnen und den inneren Kopf zu stärken. Früher war der Ansatz dafür häufig auf der Beinstreckermaschine im Sitzen nur die letzten 20° der Bewegung vor der Streckung zu trainieren. Das aktiviert den VM zwar, ist aber schlecht, weil der Beinstrecker dabei verkürzt und so die Ruhespannung insgesamt eher hoch geht. Der VM hat aber zum Glück bei tiefen Kniebeugen (mit sauberer Ausführung) und RFESS auch eine sehr hohe Aktivierung. (Wenn die Patellasehne von solchen Übungen allerdings noch weh tut, sollten sie natürlich noch nicht trainiert werden.)

Dazu dann den äußeren Kopf und die Oberschenkelaussenseite (Ilobitale Band) noch wie in (1) beschrieben fleißig releasen, und der Zug nach Außen sollte nicht mehr zu hoch sein.

Wenn sich die Lateralisierung der Patella durch das Trainieren garnicht mehr verbessern lässt, gibts einen operativen eingriff, den sogenannten “Lateral release”. Da wird die Kniescheibe von einer der Sehnen, die sich nach außen zieht getrennt und dadurch läuft sie dann wieder mittiger. Das ist kein komplizierter Eingriff, sollte aber natürlich nur in Erwägung gezogen werden, wenn alle konventionellen Therapiemoeglichkeiten schon ausgeschöpft sind. Dies ist aber nur extrem selten nötig. Das problem lässt sich fast immer auch so beseitigen. Achja, dann gibts noch diese Patellasehnenbandagen. Die bewirken eigentlich nichts anderes als durch ihren leichten Druck eine Reaktion des Nervensystems hervorzurufen, die bewirkt, dass beim Bodenkontakt des Fußes und damit verbundener Kontraktion des Quadrizeps der VM ein klein bisschen frueher kontrahiert als er es normal tun würde, wodurch die Sehne mehr nach innen stabilisiert wird. Allerdings sollte man nich meinen, dass man sich nur so ein Teil um das Knie bindet und damit wär das Problem gegessen. Das bekämpft nämlich mehr die Wirkung als die Ursache ;)


3) Disbalance Quadrizeps/Hamstrings Die Hamstrings sind die Oberschenkelrueckseite (bizeps femoris usw.). Wenn die Quads im verhältnis zu den Hams zu stark sind, führt das zu seltsamen Bewegungsmustern beim Laufen und Springen, sprich zu viel Kraftentwicklung aus der Kniestreckung und zu wenig Kraftentwicklung aus der Hüftstreckung. Dann empfiehlt es sich Übungen zu machen, die die Oberschenkelrückseite in ihrer Hauptfunktion, der Hüftstreckung, trainieren. Rumänisches Kreuzheben ist eine davon. Das kann auch einbeinig und mit Kurzhantel ausgeführt werden. Ansonsten gelten bei der Übung natürlich ähnliche Ausführungsregeln wie bei Kreuzheben generell, also Wirbelsäule in der natürlichen S-Form halten, und nicht rund werden oder verdrehen. Man kann die Oberschenkelrückseite zwar auch mit solchen Maschinen trainieren. Allerdings erwischt man sie da nur in ihrer Funktion als Kniegelenksbeuger. Das ist also nur mäßig sinnvoll. Dann lieber (reverse) back extension. Wenn die zu leicht werden kann man da auch gut Zusatzgewicht benutzen.


4) Seltsame Bewegungs-/Lauf-muster

Wenn ihr z.B. in der Hüfte unbeweglich oder zumindest nicht symetrisch beweglich seit, kann sich das schlecht auf die Lauf/Spring-Bewegungen auswirken und so die Knie auch unnötig stark belasten. Versucht also rauszufinden, wo eure Beweglichkeitsdefizite liegen und diese zu beheben. Das kann man entweder selbst machen oder halt bei einem Physio oder sonstwem, der sich damit auskennt, vorbeischauen.


5) Eigentlich ist es gar nicht wert, erwaehnt zu werden, da es sowas von extrem selten ist, aber der Vollständigkeit halber: Gleitlager unter der Patella ist zu rau. Dies kann unterschiedliche Gründe haben; Disposition, langes beineangewinkeltes sitzen … Da lässt sich durch Training meist wenig machen, und es muss dann operativ geglättet werden. Wenn ihr aber wisst, dass ihr das habt, habt ihr ja offensichtlich schon mit eurem Arzt drüber gesprochen. Und der wird euch ja gesagt haben, was zu tun ist. ;)

Also, das eigentliche Problem ist eigentlich immer irgendwie 1,2, 3 oder 4 bzw eine Kombination aus diesen.


Zusammenfassung: Was man gegen Jumpers Knee machen kann?


Achja, falls ihr während eurer Patellasehnengenesung doch unbedingt etwas weitertricken wollt, solltet ihr zumindest die Sachen weglassen, die die Patellasehne sehr stark belasten. Zwei Faktoren sind für die Belastung der Patellasehne am meisten ausschlaggebend:

1: Stärke der wirkenden Kraftspitze (größte Wirkende Kraft während Absprung/Landung) - Wird geprellt oder eher weich abgesprungen wie beim Stemmschritt?

2: Richtung der Kraft im Verhältnis zum Unterschenkel - In welche Richtung geht das Blocking?

Zum zweiten Faktor hier mal zwei Bilder:

Frontflip-Absprung

Roundoffbackflip-Absprung

grün: horizontale Geschwindigkeit blau: Unterschenkel rot: Absprungkraft

Entscheidend ist die Richtung in die der Winkel zwischen blau und rot zeigt. Zeigt er nach hinten (wie beim BF-Absprung) geht die Belastung mehr auf die Beinrückseite. Zeigt er nach vorne (wie beim FF-Absprung) geht die Belastung mehr auf die Beinvorderseite und damit auch auf die Patellasehne.

Beispiele für Absprünge:

1) hohe kraftspitze und nach vorne: frontflip

2) hohe kraftspitze und nach hinten: roundoff-backflip

3) niedrige kraftspitze und nach vorne: running webster

4) niedrige kraftspitze und nach hinten step-back-backflip

1 wäre hier am belastendsten, 4 am harmlosesten, und 2 und 3 irgendwo dazwischen.