Dogmen, Vernunft und Abrissbirnen

oder: „Warum die Vernunft Selbstmord begehen musste.

Prämoderne, Morderne und Postmoderne sind Begriffe mit denen man verschiedene Denkweisen oder philosophische Phasen bezeichnen kann.

Unter der Prämordernen kann man sich gut die Zeit des Mittelalters vorstellen. Das, was damals als Wissen oder Wahrheit galt und die Moral bestimmte, waren größtenteils überlieferte Dogmen, meist religiöser Art. In der Bibel steht’s, also machen wir das auch so, weil Gott es ja selbst gesagt hat, und wer Schwimmen kann ist eine Hexe. 😉

Dann wurde es irgendwann nach der Renaissance immer aufklärerischer. Immanuel Kant (einer der bedeutendsten Philosophen dieses Zeitalters) beschrieb es passend mit „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit.“. Im Prinzip geht es darum, dass sich alle überlieferten Dogmen einer logischen und empirischen Überprüfung zu unterziehen haben, und verworfen werden müssen, wenn sie diese nicht bestehen. Hier liegen die Wurzeln der modernen wissenschaftlichen Methode, der Demokratie und des technischen Fortschritts. Es wird davon ausgegangen, dass es eine objektive Wahrheit gibt, und man sich ihr mit dem Verstand annähern kann.

Bald hat die Vernunft dann jedoch bemerkt, dass es ebenfalls ein Dogma ist, wenn man sagt, dass alles mit Logik erkannt werden kann. Da Dogmen ja aber unerwünscht sind, musste sich die Vernunft hier selbst in die Schranken weisen.

Dazu kamen dann Leute wie Friedrich Nietzsche, die gezeigt haben, dass auch moralische Standards ziemlich beliebig sind, und fast alles, das irgendwann und irgendwo mal als „gut“ galt in einer anderen Kultur mal als „böse“ angesehen wurde. Selbst logisch aufgebaute Ethik basiert auf Grundannahmen, deren absolute Richtigkeit nicht bewiesen oder überprüft werden kann. Das trifft auf die Grundrechte, die wir jedem Menschen im Liberalismus oder im Humanismus zusprechen, ebenso zu wie auf die Forderung das Gesamtwohl zu maximieren und das Gesamtleid zu minimieren, wie sie der Utilitarismus (aus dem man übrigens gut den Sozialismus herleiten kann) stellt. Alles wird letztendlich zur Geschmackssache, auch die Frage, ob es OK ist, jemanden umzuboxen, einfach weil ich es kann und gerade Lust dazu habe.

Ob die Logik (und damit die Mathematik) nun absolute Wahrheiten sind, die unserem Universum inhärent sind, und wir sie nur entdeckt haben (Moderne), oder ob es Erfindungen von uns sind (Postmoderne), lässt sich nicht so einfach beantworten.

In der Naturwissenschaft arbeitet man mangels Alternativen trotzdem mit Logik und Empirie weiter, was bisher ja auch echt gut funktioniert.

Für die Moral ist das Dilemma zunächst größer. Allerdings funktioniert es so, dass man sich auf Grundregeln, die zu der evolutionär gewachsenen Intuition passen, einigt, doch ganz passabel. Das Grundgesetz wär‘ so ein Fall. (Die gefühlte Antwort auf das Trolley-Problem ist hier beispielsweise gut erfasst.) Es sollte erstmal recht stabil stehen, nur ist es nicht vollkommen ausgeschlossen, dass man daran irgendwann doch mal wieder was ändert, wenn man merkt, dass es besser geht, und man sich halbwegs einig ist, was „besser“ überhaupt bedeutet. 😉

Korrelation und Kausalität

Oft messen irgendwelche Studien/Statistiken die Korrelation (gemeinsames Auftreten) zweier Dinge, und in Zeitungen oder sonstwo wird dann fälschlicherweise von Kausalität (Ursache und Wirkung) berichtet. Das könnte zwar daran liegen, dass die Journalisten den Unterschied einfach nicht kennen, aber vielleicht ist es auch so, dass die Zeitungen, in denen nichts für die Spektakularität hinzuerfunden wird, sich weniger verkaufen, und die Zeitungen deshalb einfach nur auffällige (wenn auch inkorrekte) Schlagzeilen machen wollen. Die meisten Leser folgen eben der uns Menschen angeborenen und in anderem Kontext auch nützlichen) Präferenz, ständig Kausalzusammenhänge zu sehen, und möchten auch lieber sowas lesen. Dass sie damit leider oft einem Irrtum unterliegen, wissen sie nicht. Da wir ja aber nicht auch in diese Falle tappen wollen, nehmen wir das doch mal kurz auseinander. 😉

Angenommen, wir sind Ernährungswissenschaftler und wollen herausfinden (wie auch immer wir auf die Idee kommen), ob die Aufnahme von Omega-3-Fettsäuren (besonders das in Kaltwasserfischen vorkommende EPA und DHA) den Blutdruck positiv, negativ oder gar nicht beeinflusst.

Fish_oilEin sehr naiver (und falscher) Ansatz ist, einfach den Blutdruck vieler Leute zu messen und herauszufinden, ob und wieviel Omega-3 sie zu sich nehmen. Eventuell ergibt sich dann ein Zusammenhang in der Art von „Leute, die mehr Omega-3 essen, haben im Schnitt einen höheren Blutdruck.“ Wenn man dämlich genug ist, könnte man daraus folgern, dass die Omega-3s den hohen Blutdruck verursacht haben, also dass ein Kausalzusammenhang, der im Gegensatz zur Korrelation direktional ist, besteht.

fischoel_bluthochdruckEs gibt einige Artikel wie diesen hier (link) indem genau dieser Fehlschluss (allerdings mit Krebs statt Bluthochdruck) gemacht wurde.

Falsch ist die Schlussfolgerung, weil die Korrelation auch ganz anders entstanden sein kann. Eventuell haben die Leute erst auf Grund ihrer gesundheitlichen Probleme angefangen, Omega-3 zu nehmen, weil diese ja eigentlich als gut gelten. Es könnte allerdings auch sein, dass die beiden Dinge gar nicht direkt kausal zusammenhängen und eine andere Größe beide verursacht:

fragezeichen_fischoel_bluthochdruckEventuell haben Leute, die mehr Arbeiten oder mehr Stress haben, im Schnitt einen höheren Blutdruck und greifen auch eher zu Supplementen als Leute mit weniger Stress/Arbeit. In diesem Fall wäre das Fragezeichen also Arbeit/Stress. Es könnte aber auch irgendwas anderes sein. Wir wissen es einfach nicht.

Gut, der Ansatz führt also schonmal zu nichts. Zumindest nicht zu dem, was wir ursprünglich wissen wollten. Wie machen wir es dann? Eine deutlich bessere Methode ist es, ein Experiment durchzuführen, bei dem der Omega-3-Konsum eine sogenannte unabhängige Variable ist. Wir benötigen also eine (möglichst große) Gruppe von Menschen, die wir z.B. halbieren. Wer in welcher Hälfte landet muss der Zufall entscheiden und nicht die jeweilige Personen selber. Eine der beiden Untergruppen (Experimentalgruppe) lassen wir nun täglich eine bestimmte Menge Omega-3 zu sich nehmen, die andere (Kontrollgruppe) nicht. Das ziehen wir einige Zeit lang durch und schauen dann, wieviele sich der Blutdruck der Leute aus den beiden Gruppen entwickelt hat. Angenommen hierbei käme jetzt heraus, dass der Blutdruck der Leute der Experimentalgruppe im Schnitt um 10 Torr gesunken ist, und der der Kontrollgruppe gleich geblieben (oder z.B. um 2 Torr gestiegen) ist, wäre eine Aussage in der Art von „Omega-3 verringert den Blutdruck.“ schon etwas gerechtfertigter, und interessanterweise ja das genaue Gegenteil von der Aussage, zu der wir durch unseren naiven Korrelations-Ansatz gekommen wären, dessen Sinnlosigkeit (und Gefährlichkeit) spätestens hier offensichtlich wird.

fischoel_blutdrucksenkungOptimal ist das Experiment aber noch nicht, denn die Versuchsteilnehmer wussten, in welcher der beiden Gruppen sie waren, und alleine schon das Wissen, etwas einzunehmen, was angeblich gut für die Gesundheit ist, kann eine Änderung bewirken. Das nennt man dann Placebo-Effekt, und dieser Effekt ist auch die Grundlage für die „Wirksamkeit“ von homöopathischen „Arzneimitteln“, die tatsächlich nämlich gar keinen Wirkstoff enthalten.

homoeopathie_smallerDiesen Effekt können wir aber auch aus unserem Experiment verbannen, indem wir der Kontrollgruppe nicht nur einfach nichts geben, sondern ein Placebo, dass genauso aussieht/riecht/schmeckt wie das, was die Experimentalgruppe bekommt, nur halt keinen Wirkstoff enthält. (Blindstudie). Damit die Leute, die den Versuchsteilnehmern das Mittel übergeben nicht unterbewussten Einfluss nehmen (Rosenthal-Effekt), sollten diese selber auch gar nicht wissen, ob sie gerade ein Placebo weitergeben, also mit welcher Gruppe sie es zu tun haben. Das nennt sich dann Doppelblindstudie und gilt als der Goldstandard in der Forschung.

doctor_medicineBei solchen Ergebnissen gilt es dann generell noch zu beachten, wie hoch die statistische Signifikanz und die Varianz (Streuung/Abweichung) sind, womit man ausrechnen kann, wie wahrscheinlich es ist, dass das Ergebnis, dass man bekommen hat, nur Zufall ist. Diese Wahrscheinlichkeit will man natürlich verringern, was man unter Anderem gut durch Erhöhen der Zahl der Versuchsteilnehmer erreichen kann. Eine hohe Varianz, oder ein anderes Ergebnis bei wiederholter Durchführung der Studie mit anderen Teilnehmern kann übrigens darauf hindeuten, dass es weitere entscheidende Variablen gibt. Eventuell besteht eine Wirkung nur wenn man ein gewisses Gen in sich trägt, der Blutdruck vorher schon einen gewissen Wert grob erreicht hatte, oder sonstwas. Man sollte dann also nochmal genauer hinschauen.

large-group-of-peopleEin solches Studienergebnis ist dann zwar noch keine Garantie, dass sich bei einem bestimmten Individuum der gleiche Effekt einstellen wird, es ist aber ein guter Hinweis darauf, was man versuchen sollte.

Nun möchte ich noch ein (aktuelles) Beispiel zeigen, bei dem die Medien Kausalität unterstellen, obwohl nur Korrelation gemessen wurde:

– Kampfverletzungen von Schülern und IQ: Hier wird festgestellt, dass Menschen, die als Kinder bei einer Klopperei etwas abbekommen haben, dümmer sind als welche, bei denen das nicht der Fall war. Fälschlicherweise wird daraus geschlossen, dass sie deshalb dümmer geworden sind. Auszuschliessen ist es ohne weitere Forschung nicht, aber wahrscheinlicher ist es hier eher, dass dumme Kinder im Schnitt dumme Erwachsene werden, und dumme Menschen sich eher prügeln.

klapperstorchtapeteZu guter Letzt noch ein Klassiker, der sehr gut aufzeigt, wie albern es ist, aus Korrelation direkt auf Kausalität zu schliessen: Es gibt eine starke positive örtliche Korrelation zwischen der größe der Klapperstorchpopulation und der menschlichen Geburtenrate. Mit anderen Worten: Menschen, die in Gegenden wohnen, in denen es mehr Klapperstörche gibt, bekommen mehr Kinder. Der hier offensichtlich falsche, aber von der Methode her ständig gemachte Fehlschluss ist der, dass die Klapperstorche für die Kinder verantwortlich sind. Tatsächlich ist es aber eher so, dass Menschen in ländlichen Gegenden mehr Kinder bekommen als Menschen in Städten, und auf dem Land halt auch mehr Klapperstörche leben. Ebenso ungütig für einen Schluss auf Kausalität wäre übrigens die zeitliche Korrelation: Dass die gesamtdeutsche Klapperstorchpopulation in den letzten Jahrzehnten ebenso wie die menchlische Geburtenrate heruntergegangen ist, bedeutet nicht, dass eins davon die Ursache für das Andere ist.

Wenn du also das nächste mal in der Zeitung oder sonstwo liest, dass ein Zusammenhang zwischen zwei Dingen gefunden wurde, der angeblich eine Ursache-Wirkungs-Beziehung darstellen soll, schau nach, ob es sich tatsächlich um eine Doppelblindstudie gehandelt hat, oder ob eigentlich nur wieder sowas wie die Klapperstorchkorrelation gemessen wurde. 😉

Wer gerne selbst phantasiert, kann sich auf dieser hübsch gemachten Seite übrigens fein austoben: gapminder.org (Man beachte, wie viele Korrelationen sich auf den sozioökonimischen Gradienten zurückführen lassen. :))

zigaretteBei Supplementen oder Medikamenten ist es glücklicherweise oft möglich, Doppelblindstudien durchzuziehen. Doof ist es nur wenn man die Antwort auf eine Frage sucht, für die das (beispielsweise aus ethischen Gründen) nicht möglich ist. Angenommen wir wollen wissen, ob Rauchen Lungenprobleme verursacht. Eine Studie, in der wir eine (natürlich wieder zufallseingeteilte) Gruppe von Menschen nötigen Jahre lang zu rauchen und es einer anderen Gruppe untersagen, ist nicht machbar. Wir sind also gezwungen, nur mit Korrelationsdaten zu arbeiten. Diese Daten zeigen zwar, dass Raucher viel öfter kaputte Lungen haben als Nichtraucher, aber es könnte halt auch wieder eine dritte Variable geben, die Lungenprobleme verursacht und gleichzeitig Leute dazu bringt, zu rauchen. Um trotzdem zu einem nicht ganz schwachsinnigen Ergebnis zu kommen, werden nun über viele Jahre sehr viele weitere Daten erhoben und dann versucht, mathematisch die anderen Faktoren herauszurechnen. Wenn die Korrelation danach immernoch (wie im Fall von Rauchen<->Lungenkrebs) sehr stark ist, kann man danach einigermaßen zuverlässig sagen, dass eine Kausalbeziehung besteht, also dass Rauchen gesundheitsschädlich ist. Allerdings ist diese Aussage leider nicht so sicher wie eine, die aus Doppelblindstudien hervorgegangen wäre.

Mini-Dawkins: Memetik von Religionen

Obwohl DawkinsIdeen vermutlich öfters wiedergekäut werden, hab‘ ich trotzdem gerade Lust, über sie zu schreiben, weil ich sie einfach gut finde. 🙂

Das Grundprinzip der Evolution habe ich ja schon im Artikel „Evolution und Folgen des parental investments“ beschrieben.

Da es in quasi jeder Kultur irgendeine Art von Religion oder sonstigem Aberglauben (Warum ich Aberglaube sage, steht im Artikel „Epistemologie, Esoterik und Theismus„.) gibt, fragt man sich ja schon, ob religiös zu sein, vielleicht irgendeinen Vorteil bietet, weswegen sich eine Veranlagung dazu durchgesetzt hat. Es gibt zwar leichte empirische Hinweise darauf, dass es sich mit Religion stressfreier lebt, was ja auch förderlich für die Gesundheit wäre, allerdings scheint das nicht auszureichen, um die Stärke des Phänomens zu erklären, vorallem angesichts der massiven Ressourcen, die oft bei der Ausübung des Glaubens aufgewendet werden und damit in anderen Lebensbereichen (Nahrungsbeschaffung, Reproduktion usw.) fehlen.

Kleiner Ausflug in die Mottologie: Wir sehen, dass Motten oft um Kerzen/Feuer kreisen, dann reinfliegen und verenden, und fragen uns, warum sie das nur tun. Normalerweise orientieren sie sich Nachts an Lichtquellen in optischer Unendlichkeit wie dem Mond. So können sie den Kurs halten wenn sie einen konstantem Winkel zu diesem Objekt halten. Eine Kerze ist aber nicht so weit weg, und wenn da der gleiche Flugalgorithmus ausgeführt wird, fliegen die Nachtfalter in einer logarithmischen Spirale ins Feuer. Das Phänomen, das wir beobachten ist also nur ein fieser Nebeneffekt einer sonst sehr nützlichen Adaption.

Vielleicht muss man die darwinistische Frage bezüglich Religion also anders formulieren. Nicht „Was für einen Vorteil bringt Religion?“ sondern „Was für Eigenschaften haben wir, die die Entstehung von Religion begünstigen, und wieso haben wir diese?“

Kinder lernen nicht nur aus Erfahrung sondern auch dadurch, dass sie auf ihre Eltern oder andere Respektspersonen hören. Doch selbst ausprobieren zu müssen, warum man nicht in den Fluß mit den Krokodilen gehen soll, wäre keine gute Adaption. 😉 Kindergehirne glauben also sinnvollerweise oft einfach, was man ihnen sagt, weshalb die meisten Menschen ihre Religion auch in der Kindheit beigebracht (aufgezwängt/indoktriniert) bekommen und nur selten im Erwachsenenalter selbst zu einer kommen.

Nun stellt sich die Frage, wie sich Religionen und vor allem warum immer mit ähnlichen inhaltlichen Mustern verbreiten. Von Kettenbriefen wie „Schreib mich ab und schick mich dann an 10 Freunde, und du wirst ganz viel Glück haben.“ (oder so ähnlich) kennt man ja. Teilweise haben die sich auch recht gut (exponentiell) viral ausgebreitet. Solche Briefe können unterschiedlich geschrieben sein, sodass sich manche besser und andere schlechter verbreiten. Zwischendurch verändern (mutieren) diese Briefe beim Abschreiben. Die Mutationen, die die Ausbreitung begünstigen, setzen sich dann durch. Man kann also die Evolutionstheorie nicht nur auf Gene, Lebewesen mit der Umwelt als Wirt, sondern auch auf Meme (Gedankeneinheiten), Ideen (wie Kettenbriefe) mit den Menschen als Wirt anwenden.

Einige religiösen Meme scheinen besonders günstig für die Ausbreitung zu sein. Die Vorstellung von ewigem Leben fruchtet vermutlich besonders gut auf der Angst vor dem Tod, Absolutheitsansprüche ala „Du sollst neben mir keine anderen Götter haben.“ sind wohl auch gut, um Abweichung zu unterdrücken, und einfache Antworten auf schwierige Fragen, die ins Münchhausen-Trilemma führen, scheinen besonders anziehend zu sein.

(Das Münchhausen-Trilemma ist ein Name für das Problem, zu dem man kommt, wenn man immer weiter nach der Ursache für Dinge fragt. Wenn man nach der Ursache des Universums fragt, kann man entweder dogmatisch mit „Gott wars.“ antworten (und dabei die Frage nach der Ursache für Gott ausblenden), oder man fragt immer weiter (infiniter Regress) oder man dreht sich im Kreis (Zirkelschluss). Vielleicht haben sich unsere Gehirne und unsere Kognition einfach nicht dazu evolviert, vernünftige Antworten auf solche Fragen zu generieren, womit wir uns teilweise jedoch nur ungerne abfinden und deshalb Dogmen erfinden.)

So mutieren religiöse Ideen also in der Art, dass sie sich besonders gut halten, und dabei die Anfälligkeit (Leichtgläubigkeit) des kindlichen Gehirns, aus dem sie später nur noch aufwendig zu entfernen sind, nutzen, um sich dort festzusetzen.

Dass sich Informationen wirklich nicht unbedingt, weil sie wahr sind, sondern andere Eigenschaften bei der Auswahl entscheidender sein können, sieht man z.B. gut daran, dass sich viele Vorstellungen trotz für jeden leicht festzustellender Bullshititizität sehr hartnäckig halten. Dieses Konzept der Mutation und Selektion von Ideen lässt sich natürlich auch auf alle möglichen anderen nicht-religiösen Gedanken, Traditionen usw. anwenden und ist selbst natürlich auch ein Mem. Vielleicht wurdest du ja gerade eben davon infiziert. 🙂

Falls es sich anhört, als würde ich das einfach nur böse meinen, empfehle ich den Artikel „Naturalismus, Kontinua und Mitgefühl„. Dem ist nämlich nicht so. 😉

Evolution und Folgen des parental investments

(Dieser Artikel baut auf dem Abschnitt über parental investment und pair bond species vs. tournament species aus „Feministinnen und wie sie entstehen könnten“ auf.)

Auf den ersten Blick sieht Evolution unter Umständen gar nicht mal sooo unterhaltsam aus. Über Millionen und Milliarden von Jahren sind Organismen gewissen Selektionsdrücken ausgesetzt, wodurch sich die Genmutationen, die ihren Trägern einen Reproduktionsvorteil verschaffen, langfristig durchsetzen. (Während des Lebens erworbene Eigenschaften gehen übrigens nicht in die DNA-Sequenz ein und können deshalb auch nicht über sie weitergegeben werden.) Der Spruch „survival of the fittest“ ist da zum Vorstellen nur bedingt nützlich, da man an der Definition von vorhin ja sieht, dass man weder lang überleben noch fit in dem Sinn, wie es oft verstanden wird (stark und so) sein muss. Fit muss man nur in der Nachwuchs-Produktion sein, und überleben nur bis man darin genug Erfolg hatte. Und das Huhn ist für das Ei, die Methode, weitere Eier zu produzieren – nicht umgekehrt. 😉

So, unter den Vorfahren der Giraffen konnten sich also die besser fortpflanzen, die einen etwas längeren Hals als andere hatten und deshalb an höhere Blätter kamen und somit mehr zu futtern hatten. Manchmal hat man Glück und findet nun noch ein paar Fossilien usw.

Nicht mehr ganz so langweilig wird es, wenn man sich überlegt, wie aus einer Spezies zwei werden können. Oft sind zwei Gruppen einer Art durch räumliche Trennung unterschiedlicher Selektion ausgesetzt, wodurch ihr Genpool sich dann irgendwann so weit voneinander entfernt, dass ein Individuum aus der einen Gruppe sich nicht mehr wirklich mit einem aus der anderen fortpflanzen könnte.

Bei der Evolution handelt es sich zwar um ein natürliches Optimierungsverfahren, allerdings landet man bei diesem wie bei so vielen auch nicht unbedingt im globalen Optimum sondern höchstens in einem lokalen, und da auch noch nichtmal mit Sicherheit.

(Tatsächlich hat das Problem natürlich viel mehr Dimensionen.)

Dazu kommt, dass manche Eigenschaften nichtmal Adaptionen sondern vielmehr Spandrels (Nebenprodukte) sind. (Männliche Brustwarzen sind beispielsweise recht unnütz, jedoch ein Nebenprodukt der durchaus nützlichen weiblichen Variante.)

Des weiteren ändern sich Umgebungen (und damit die Selektionsdrücke) über die Zeit. Nicht nur die physikalische Umwelt sondern auch die Interaktionen mit anderen Arten (Räuber-Beute-Beziehungen) und auch die innerhalb der eigenen Spezies spielen da eine Rolle. So kann es vorkommen, dass man eine Eigenschaft hat, die früher mal eine tolle Adaption war, jetzt aber eher weniger prickelnd ist, wie z.B. die, sich auf alles, was möglichst viel Fett und Zucker hat, gierig draufzustürzen. Früher war das klasse, denn Körperfettreserven waren in Zeiten, in denen es weniger zu Essen gab, sehr hilfreich. Nun sieht’s anders aus, und wir gucken vor’m Schokoladenregal im Supermarkt manchmal dumm aus der Wäsche bis entweder unser frontaler Cortex oder der evolutionär altere Teil unseres Gehirns das Tauziehen für sich entschieden hat. 😉

Es drängen sich natürlich fragen (hier wird’s dann schon interessanter) auf, wieso Gene, die Probleme wie Schizophrenie oder Depressionen (siehe Naturalismus, Kontinua und Mitgefühl) begünstigen, nicht wegselektiert wurden. Bei Homosexualität, die auch eine genetische Komponente hat ebenso. Hierzu gibt es verschiedene Möglichkeiten. Es könnte sein, dass die Veranlagung wenn sie sich zur Lebzeit anders ausprägt, durchaus einen Reproduktionsvorteil mit sich bringt, oder dass die Verwandten (die sich ja Gene mit einem teilen) dadurch einen Vorteil haben. Es könnte auch für die Gruppe als Ganzes von Vorteil sein. (Wie die Rache/Kooperations-Sache in „Rache ist ja soo selbstlos…;)„.) Es gibt also viele Möglichkeiten, die bei den verschiedenen Phänomenen jeweils empirisch überprüft werden müssen.

Da überprüfbare Vorhersagen ja generell wichtig sind, damit eine Theorie wissenschaftlich ist (siehe Epistemologie, Esoterik und Theismus), wäre die, um die es hier gerade geht, ja ziemlich öde wenn sie keine anböte. Ich will jetzt nicht mit Antibiotikaresistenz (oder Dackelzucht) nerven, deshalb nehm ich einen Bereich, in dem es wirklich spaßig wird. 🙂

Weil ja nicht nur körperliche, sondern auch „geistige“ Eigenschaften evolutionäre Ursachen haben (Der Übergang von „Wenn ich dir auf die Nase haue, tut es dir weh.“ zu „Wenn ich dir auf die Nase haue, bekommst du schlechte Laune“. ist ja fließend.), kann man hier beispielsweise aus dem simplen Unterschied im parental investment (Wir sind ja irgendwo zwischen pair bond und tournament.) nette Sachen vorhersagen, die auch oft schon empirisch nachgewiesen wurden. Dabei gilt es natürlich immer zu bedenken, dass diese Vorgänge keinesfalls bewusst ablaufen. Wir essen ja auch normalerweise eher selten, weil wir Nährstoffe aufnehmen wollen (Muskelheinis ausgenommen), sondern weil wir Hunger haben. Hunger ist hier die biologische Methode, um die Nährstoffaufnahme zu gewährleisten. (Mit Sex, Fortpflanzung und Lust verhält es sich ähnlich.)

(Ab hier wird das Konzept über parental investment und pair bond species vs. tournament species aus dem Artikel „Feministinnen und wie sie entstehen könnten“ wichtig.)

Es geht nicht um genetischen Determinismus (hier schon erklärt). Wenn man als Mann also weiß, warum man vielleicht etwas eher dazu neigt, zusätzlich zur eigenen auch mal andere Frauen sexuell anziehend zu finden, soll das ja nicht als Ausrede dienen eventuelle Beziehungskonventionen zu verletzen, sondern einem vielleicht eher dabei helfen, zu verstehen, dass das nicht bedeutet, dass man seine Frau nicht richtig liebt oder sowas, und die Versuchung deshalb dann vielleicht doch eher sein lässt. 😉

So, nun aber zu den spaßigen evolutionärpsychologischen Hypothesen über im Durchschnitt auftauchende tendentielle statistische Unterschiede (individuelle Unterschiede gibt es natürlich immer) zwischen Männer und Frauen, die sich aus dem parental investment ergeben sollten:

– Weibchen sollten sich für One-Night-Stands eher James-Bond-Typen aussuchen, zum Zusammenleben eher Versorgertypen. (Dominance, prosocial orientation, and female preferences: Do nice guys really finish last?)

– Der Mann sollte eher sauer sein wenn die Frau kurz mal sexuell fremdgeht, weil die Gefahr eines Kuckuckskinds damit hoch wird, und Mann in Nachwuchs investiert, der nicht der eigene ist.

– Die Frau sollte eher sauer werden wenn der Mann viel Zeit mit einer anderen verbringt und seine Ressourcen da aufwendet.

– Wenn Frauen über eine andere Frauen lästern, um sie dem Partner schlecht zu reden, sollten sie mehr übers Aussehen herziehen. Männer hingegen sollten umgekehrt mehr über den Status des anderen Typens herziehen.

– Der Mann sollte für eine Frau nach dem ersten Sex mit ihm im Schnitt attraktiver werden (eventuelle Schwangerschaft, Versorger usw.), beim Mann hingegen sollte das nicht so sein. (The affective shift hypothesis: The functions of emotional changes following sexual intercourse)

– Säuglinge sollten dem Vater eher ähnlich sehen als der Mutter, weil die sich eh sicher sein kann, dass es ihr eigenes ist, der Vater nicht unbedingt. (Whom Are Newborn Babies Said to Resemble?)

– Die Verwandten der Mutter sollten besonders immer wieder betonen, wie ähnlich das Kind dem Vater sieht (natürlich so, dass er das mitbekommt).

– Missbrauch und Mord an Kindern sollte von Stiefväter öfter begangen werden als von leiblichen (Cinderella effect).

– Single-Männer sollten erzählen wenn sie mit vielen Frauen Sex haben. (Wenn die anderen Frauen den toll finden, werden die in der nächsten Generation seinen Sohn auch toll finden, also will ich als Frau Nachwuchs von ihm, weil ich so über meine Enkel mehr Gene weitergeben kann.)

– Single-Frauen sollten ihre Promiskuität eher für sich behalten, da ein späterer Partner ja davon überzeugt sein sollte, dass die Frau nur mit ihnen rumsext, und deshalb mehr Ressourcen in den Nachwuchs steckt.

Einiges davon kommt einem eh schon aus eigener Erfahrung ziemlich bekannt vor und ist auch schon in den verschiedensten Kulturen nachgewiesen worden. (David Buss hat da sicher mehr zu zu sagen). Bei anderen Sachen steht die Überprüfung noch aus. Auch wenn bei vielen Verhaltensweisen die Kultur sogar eventuell eine größere Rolle als die Natur spielt, spielt sie doch oft irgendwie mit, und die meisten Teile der Psychologie könnten vielleicht von evolutionären Überlegungen profitieren. Ist ja auch ne schöne Brücke zwischen Geistes- und Naturwissenschaften. 🙂

Achja, nur nochmal zur Sicherheit: Das ganze ist rein deskriptiv und nicht normativ (Wissenschaft beschreibt wie etwas ist, schreibt aber nicht vor wie etwas sein sollte). Ich finde Gleichberechtigung super und bin selbst in meinem Sozialverhalten alles andere als ein Patriarch. Mir gefällt es jedoch wenn man aus einem einzigen Prinzip (parental investment) so viele beobachtbare Verhaltensweisen, für die man bei rein kultureller Betrachungsweise keine sinnvolle Erklärung finden würde, logisch deduzieren kann, 😀

Naturalismus, Kontinua und Mitgefühl

Was soll eigentlich das ganze wissenschaftliche Zeug? Gehts darum, irgendwem Träume, Hoffnung und Sinn wegzunehmen (den Regenbogen zu entzaubern) usw.?

Ganz im Gegenteil!
Für mich persönlich drückt der Wunsch, die Natur zu verstehen, viel mehr die Faszination, die von ihr ausgeht, und den Respekt, den man vor ihr hat, gepaart mit Neugierde und Liebe zur Wahrheit aus. 🙂
Im Beitrag zu neuronalen Netzen hatte ich ja schon erwähnt, dass die natürliche (manchmal sehr einfache, manchmal sehr komplexe) Erklärung für ein Phänomen wesentlich spektakulärer und faszinierender sein kann als ein simples übernatürliches Dogma. (Seit ich weiß, was ein Prisma tut, und dass Sonnenlicht aus verschiedenen Wellenlängen zusammengesetzt ist, finde ich Regenbögen sogar noch schöner.)
Die Vorstellung, es ein bis zwei hundert Milliarden Galaxien mit jeweils wieder mehreren hundert Milliarden Sternen (von denen unsere Sonne einer ist) gibt, und dass die Kohlenstoffatome, aus denen wir bestehen, in vor mehreren Milliarden Jahren explodierten Sternen aus einfacheren Elementen zusammenkernfusioniert wurden, und sich das Leben über sehr lange Zeiträume durch Variation und Selektion entwickelt hat, bringt mich zum Träumen und ist für meinen Geschmack auch wesentlich poetischer als die Schöpfungsmärchen, die ich so kenne. 😉
Außerdem ergeben sich mit jeder Erkenntnis ja wieder neue interessante Fragen.

SupernovaHoffnung? Können mir Ergebnisse wie die stabile Kooperation aus dem Artikel Rache ist ja soo selbstlos…;) viel mehr geben als irgendwelche Mythen. 🙂

Sinn? Kann man sich eh nur selbst suchen, weil es in der Natur keinen universellen gibt. Dazu aber ein anderes mal vielleicht mehr. 😉
Sicher sind die Naturwissenschaften von der Denkart nicht jedermanns Sache, jeder findet andere Dinge cool. Aber auch wenn man sich nicht mit den Details beschäftigen möchte, kann man trotzdem auf persönlicher Ebene sehr davon profitieren. Damit meine ich jetzt gar nicht die aufgrund der technischen Fortschritte möglichen Verbesserungen in Wohlstand und Gesundheit (Man muss ja nur sein jetziges Leben hier in der ersten Welt mit dem vor 300 Jahren oder so vergleichen.). Klar, in klassischer Aufklärungs-Art, leuchtet ein, dass eine Gesellschaft, in denen die Menschen vernünftiger Handeln, also bei Problemen weniger Beten, homöopathische „Mittel“ nehmen (oder sogar empfehlen!) und zu Wahrsagerinnen gehen, sondern tatsächlich Dinge tun, die über den Placebo-Effekt hinaus ihnen und ihren Mitmenschen helfen, insgesamt besser dran ist. (Jemanden, dem mit empirisch erwiesen wirksamen Medikamenten tatsächlich geholfen werden könnte, stattdessen Arnica C30 teuer zu verkaufen, finde ich schon ziemlich schade.) Aber hier meine ich eher, dass man Gelassenheit, Toleranz und Mitgefühl dazugewinnen kann.

Ja, wie das denn?
Im Beitrag zur Willensfreiheit hatte ich schon angesprochen, dass man sich bei der Verabschiedung von eben dieser, wenn man denn möchte, den teilweise echt nervigen Teil vom Schuld-Kram sparen kann.
Es gibt aber selbstverständlich noch mehr. 😉
Bei körperlichen Problemen sieht man ja leicht die biologische Ursache. Psychische Phänomene tut man (besonders wenn man so eine Grinsebacke wie ich ist :D) ja aber ganz gern mal mit „Irrer!“ oder „Stell dich nicht so an.“ ab. Hier kann man (hab‘ ich zumindest) mehr Toleranz und Mitgefühl entwickeln wenn man ein Bischen über diese Themen weiß:

Schizophrenie (nicht zu verwechseln mit einer dissoziativen Identitätsstörung), von der bei momentaner diagnostischer Schwelle, ca. 1% der Bevölkerung betroffen ist, hat eine starke genetische Komponente. Diese kann man bestimmen, indem man sich eineiige Zwillinge, die bei der Geburt voneinander getrennt wurden, anschaut. Persönlich ist das teilweise natürlich schade, aber für solche statistischen Zwecke im Nachhinein echt praktisch, denn man hat die Umweltkomponente (bis auf die pränatale Umgebung) recht gut ausgeklammert. Naja, auf jeden Fall sieht man hier, dass wenn einer der beiden Zwillinge betroffen ist, es den anderen zu 40% auch erwischt. Im Gehirn findet man Dopaminanomalien in einigen Hirnregionen (,gegen die übrigens schwer ist, medikamentös anzugehen, weil man andere Hirnregionen mit beeinflusst, und dann eventuell Parkinson-ähnliche Symptome hervorruft).
Dazu kommt halt, dass es keine feste Grenze zwischen „krank“ und „normal“ gibt. Man kann sich jede beliebige Zwischenstufe von „Mein imaginärer Freund sagt, ich hätte psychische Probleme.“ über „Ich sehe tote Menschen.“ über „Jesus spricht zu mir.“ bis zu „Manchmal steh‘ ich im Bus und phantasiere total abwesend vor mich hin.“ vorstellen.
Dass ich beim Wasser-Trinken früher mitgezählt habe, dass die Anzahl Schlücke 2,4,8 usw. beträgt ist auch noch keine richtige OCD(Zwangsstörung) und wenn ich Poservideos ins Netz stelle ist das noch keine narzisstische Persönlichkeitsstörung, aber eben diese Übergänge meine ich. Klar, wenn es um Jura oder medizinische Entscheidungen geht, muss man öfters mal einfach eine Grenze irgendwo in so ein Kontinuum setzen, aber wo es sich vermeiden lässt, tut man meistens gut daran, es dann auch sein zu lassen.

Depression

Depression ist ja eine Krankheit, zu der man besonders schnell mal „Ach, jeder ist mal mies drauf, jammer nicht so rum, das ist keine Krankheit.“ sagt. Dabei handelt es sich hier nicht um „mal schlechte Laune“ sondern um sehr lange sehr melancholische Zeiträume. Eigentlich ist Depression eine der fiesesten Krankheiten, die man bekommen kann, zumindest für den Zeitraum, in dem sie akut ist. Selbst Leute, denen von einer Tretmine die Beine weggerissen wurden, finden oft noch etwas im Leben, an dem sie sich erfreuen können usw. Depression ist unter anderem allerdings die Unfähigkeit, sich überhaupt freuen zu können (Anhedonie). Hier ist die genetische Komponente jedoch ähnlich hoch wie bei der Schizophrenie (gleiches statistisches Verfahren).
Man hat sogar ein Gen gefunden, dass bei Betroffenen häufiger in einer bestimmten Variante vorliegt. Passenderweise hat es etwas mit Serotonin (Glückshormon/Neurotransmitter) zu tun und sein Transkriptionsfaktor sind Glucocorticoide (Stresshormone). Man ist mit dieser Gen-Variante also bei Stress-Einwirkung wesentlich anfälliger für den Kram.

Das waren jetzt nur zwei kurze Beispiele, aber ich hoffe, der Punkt, auf den ich hinaus will, ist klar.
Wissenschaftliches Verständnis kann dazu beitragen, dass wir Menschen im Alltag mitfühlender miteinander umgehen und nicht mehr so schnell verurteilen. Ale Verhalten (nicht nur pathologische, sondern auch unsere normalen persönlichen charakterlichen Eingenschaften) haben Ursachen (mit immer unterschiedlichen Anteilen und Abhängigkeiten von Nature und Nurture).

Außerdem habe ich noch nie erlebt, das jemand Liebe plötzlich doof fand, nur weil er über Oxytocin („Treuehormon“) und das limbische System (Hirnregion, die viel mit Emotionen zu tun hat) Bescheid wusste. 😉

Love

Neuronale Netze und das Leib-Seele-„Problem“

(Obacht: Dieser Artikel baut auf dem Inhalt des Posts „Emergenz bzw. die Hochzeit von Reduktionismus und Holismus“ und auch ein Bischen auf „Epistemologie, Esoterik und Theismus“ und „Willensfreiheit“ auf. ;))

Seit gefühlten Ewigkeiten wird über das „Leib-Seele-Problem“ philosophiert. Selbst nicht religiös motivierte Leute stehen da teilweise ziemlich auf Dualismus (übernatürlicher Seele und so), sagen also, dass es einen „Geist“ oder etwas anderes nicht-materielles gibt, das unser Bewusstsein / unseren Willen (siehe Willensfreiheit) beinhaltet und das Gehirn als Schnittstelle zur Interaktion mit unserem Körper, und somit der physikalischen Welt, benutzt.
Mal abgesehen davon, dass die mir bekannten Hypothesen der Existenz eines solchen übernatürlichen Dings bisher keinerlei Möglichkeit zur Überprüfung (siehe Epistemologie, Esoterik und Theismus) anbieten (und es mir eh schwer fällt, zu verstehen, zu welchem Moment in der Embrionalentwicklung oder gar der Evolution, so eine Ja-/Nein-Eigenschaft urplötzlich dazugekommen sein soll), fordern ihre Vertreter auch manchmal ganz gerne, dass Naturalisten doch genau zeigen müssten, wie das Gehirn denn alle die mentalen Phänomene (Bewusstsein, Willen, Gefühle, etc.) produziert.

Die Psychologie gräbt dafür von der einen Seite, die Hirnforschung von der anderen Seite. Beide Versuchen, sich irgendwie in der Mitte mit ihren Tunneln zu treffen, weil das den vollen Durchblick liefern soll. Also so, dass man genau weiß, wie welcher Gedanke gerade entsteht, und man aus physikalischen Messungen am Gehirn erkennen kann, was jemand gerade denkt, und man mit gezielten Manipulationen quasi Gedanken hereinlegen kann. Am liebsten einfach mit einem Stecker wie im Film „The Matrix“.

Wenn man nun mit Rasiermessern (der Marke Ockham ;)) an Gehirnen rumschnibbelt, stellt man fest, dass Zentralnervensysteme von Lebewesen (natürlich incl. denen von uns Menschen) neuronale Netze sind. Es gibt also viele Nervenzellen (Neuronen), die über Axone an Synapsen netzartig miteinander verbunden sind. Witzigerweise unterscheiden sich unsere Neuronen beispielsweise nicht großartig von denen einer Fruchtfliege. Wir haben nur sehr viel mehr (ca. eine Million mal mehr) davon.

Wenn „Information“ „Materie in Formation“ ist, wäre unser Charakter, unsere Gedanken, Erinnerungen und all das durch die Anordnung, Verbindungen und die weiteren physikalischen Eigenschaften dieser Nervenzellen vollständig codiert.

Dafür spricht nicht nur, dass man in der funktionellen Magnetresonanztomographie gut sieht, wie sich die Stoffwechselaktivitäten in unterschiedlichen Hirnregionen abhängig von den Gedanken, die die Versuchsperson hat, verstärken, sondern vorallem der umgekehrte Fall: Man kann sein oder das Verhalten anderer durch viele physische Eingriffe stark verändern: Alkohol, alle möglichen anderen Drogen, elektrische Stimulation des Gehirns, Gabe von Neurotransmittern, durch den Kopf fliegende und frontale Kortexe rausrupfende Metallstangen usw.
In beide Richtungen (mentale Zustände -> physikalische Phänomene, und umgekehrt) lässt sich das eine also mit dem jeweils anderen kausal beeinflussen.
Dazu kommen Fragen wie: Wenn wir Menschen doch evolutionär aus immer weniger komplexen Lebensformen hervorgegangen sind, ab welcher Stelle kam dann der „Geist“ hinzu? Haben Schimpansen Geist? Kühe? Tauben/weiße Haie? Heuschrecken? Seesterne? Milben? Bakterien? Die Übergänge sind fließend.

Menschen, die am Gedanken des ewigen Lebens hängen, passt das natürlich überhaupt nicht in den Kram. Aber auch ohne das hätten einige es wohl lieber, dass ihr „Ich“ irgendetwas übernatürliches/magisches ist.
Dabei könnte die natürliche Erklärung mindestens genauso faszinierend sein, denn man hat es hier mit einem der spektakulärsten Fälle von Emergenz (siehe Emergenz bzw. die Hochzeit von Reduktionismus und Holismus) zu tun! 🙂

Tatsächliche biologische neuronale Netze sind wesentlich komplexer (Neurotransmitter, Hormone, ganz viel andere Chemie, viele Milliarden Nervenzellen und viele Billionen Synapsen, unterschiedlich evolutionär gewachsene Teile etc.) als das mathematische Modell, das ich gleich vorstelle, aber schon bei zweitem ist die Emergenz so groß, dass die oben erwähnten Forderungen mancher Dualisten einfach nicht erfüllbar sind. Wenn der Berg innen mit Linsensuppe gefüllt ist, kann der Tunnelbau halt echt schwierig werden.

Als Beispiel für ein künstliches neuronales Netz habe ich ein ganz einfaches mehrlagiges Perzeptron programmiert. Mathematisch ist das ein gerichteter Graph ohne Zyklus. Das sieht dann ungefähr so aus:

Den source code in Python 3 dazu (der malt auch diese Bildchen) gibt es hier.
Die Neuronen links sind zur Eingabe da. Das könnten beispielsweise Nervenzellen im visuellen Cortex sein. Sagen wir jetzt einfach mal, dass jedes Neuron für einen Bildpunkt im Auge steht und wahrnehmen kann, ob binär (also nur ja oder nein) Licht auf ihn fällt. Rechts sind Ausgabeneuronen. (Das einzelne Neuron zwischen Eingabe- und Mittelschicht ist ständig an, ein Bias-Neuron.) Dem Netz wollen wir jetzt beibringen, dass es sagen kann, ob es links insgesamt in Summe eher hell oder eher dunkel ist. Es soll also das eine Ausgabeneuron an machen wenn mehr Eingabeneuronen dunkler als hell sind, das andere wenn mehr helle dabei sind und beide wenn es ausgeglichen ist.
Darauf wollen wir das Netz später trainieren. Das Netz berechnet seine Ausgabe so, dass sich die Aktivierung eines Neurons immer aus den Aktivierungen der Neuronen, die Verbindungen zu ihm haben, den Stärken dieser Verbindungen und seiner Aktivierungsfunktion ergibt.

A bis E sind hier die Aktivierungen der Neuronen und u bis z die Gewichte der Kanten. Information wandert in diesem Netz also nur von links nach rechts.
Die Aktivierungsfunktion sollte nicht zu eckig sein und bei beliebigen Eingabewerten Ausgaben zwischen -1 und 1 erzeugen. Achja, differenzierbar muss sie für den von mir verwendeten Lernprozess auch sein.
Der Tangens Hyperbolicus bietet sich hier an.

Anfangs kann das Netz jedoch noch gar nichts. Die Kantenstärken sind mit Zufallswerten vorinitialisiert. Nun muss man es trainieren. Dafür legt man links eine der 2^4 möglichen Eingaben an und vergleicht die (noch schwachsinnige) Ausgabe mit dem gewünschten Ergebnis (überwachtes Lernen). Der Fehler wird aus aus der Summe der Quadrate der Differenzen der Soll- und Ist-Aktivierungen der einzelnen Ausgabe-Neuronen gebildet. Er wird nun entlang der Kanten zurückgerechnet (Backpropagation), worauf die Kantenstärken (Gewichte) entsprechend ihres Beitrags an ihm korrigiert werden. Das Ganze macht man mit allen Eingabe-Ausgabe-Kombinationen immer wieder, bis das Netz Ausgaben liefert, die einem gut genug (festlegbare Schwelle für maximal erlaubten Fehler) sind (oder bis es sich weigert, besser zu werden).
Mathematisch ausgedrückt hat das Netz einen n-dimensionalen Zustandsraum, bei dem n die Anzahl der Kanten ist. In diesem Raum gilt es, das Fehlerminimum zu finden. Einfach granuliert alle möglichen Kombinationen auszuprobieren, würde zu lange dauern. Deshalb haut man nicht einfach blind auf das Netz drauf wenn es Mist gebaut hat, sondern gibt ihm durch die Backpropagation einen kleinen Schubs in die richtige Richtung. Es kann zwar sein, dass man in einem lokalen Fehlerminimum, das nicht das globale ist, landet, allerdings hat man durch die vielen Dimensionen oft die Chance aus einem kleinen Loch wieder rauszukommen. Die Anpassung der Gewichte sieht dann z.B. so aus:

Man sieht gut, dass sich am Anfang noch viel verändert, später die Werte jedoch konvergieren. (In meinem Fall kann man das Netz nicht übertrainieren. Je nachdem, was man tut, ist das aber auch möglich. Bei komplexeren Bilderkennungsgeschichten kann es beispielsweise sein, dass das Netz dann lernt, zu sehr auf Details zu der einzelnen Lernobjekte zu achten, und nicht so gut verallgemeinert. Wenn wir selbst für etwas eine gute abstrakte Intuition entwickeln wollen, sind verschiedene Beispiele ja auch besser als immer nur das gleiche / die gleichen.)
Der Fehler, den das Netz bei den Lerniterationen macht, verläuft hier so:

Das Netz wird also immer besser, genau wie wir es wollen. 🙂

So, das Netz ist nun trainiert. Wenn man jetzt vorne [0,1,0,0] reinwirft, geht hinten nur das „Dunkel-Neuron“ an ([1,0]).
[1,1,0,1] -> [0,1]
[1,0,0,1] -> [1,1]
usw.

Wenn wir erneut trainieren (und dabei mit anderen initialen Zufallswerten für die Gewichte der Kanten starten), ist es wahrscheinlich, dass wir mit ganz anderen Gewichten enden. Es gibt nunmal viele Lösungen für das Netz, die Aufgabe innerhalb des zugelassenen Fehlers zu erfüllen.

Man kann das Netz natürlich auch mit einer beliebigen anderen Topologie aufbauen:

(Ist das jetzt ein Fisch-Netz? ;))
Das Trainieren funktioniert genauso, und hinterher kann das Netz die Aufgabe dann auch erfüllen.

Der Rechenaufwand wird bei vielen Neuronen allerdings ziemlich schnell sehr groß. Ziel der Übung war ja auch eher, zu zeigen, dass sogar bei so einem einfachen Netz das Wissen, wann es „hell“ und wann „dunkel“ sagen soll, nicht an irgendeiner bestimmten Stelle nachvollziehbar hinterlegt ist, sondern dass es in den Gewichten aller Kanten dieses Netzes zusammen repräsentiert ist. Wenn man das Ergebnis für eine bestimmte Eingabe ändern will, kann man nicht wissen, ob und wenn ja welche Kante oder Kanten man wie verändern müsste, ohne das Netz tatsächlich komplett mit der neuen Konfiguration arbeiten zu lassen. Das Wissen steckt also emergent im kompletten Netz.

Größere Netze kann man auch auf wesentlich schwierigere Aufgaben trainieren.

Es wäre möglich, dass neuronale Netze (wenn man nur genug Neuronen und Verbindungen zusammenwirft) C++-Template-Metaprogrammierung betreiben, Gedichte schreiben, Symphonien komponieren, Lieben, Hassen, Hoffen und sich sogar auf Blogs über irgendwas auslassen könnten. 😉

Und wie sollte man bei denen denn den Überblick behalten können, wenn man ihn schon bei dem kleinen hier gezeigten Beispiel verliert? Der entscheidende Punkt ist jedoch, dass das Ich/Bewusstsein kein Ding, sondern ein Vorgang ist.

Da ein so emergentes System sehr nichtlinear ist, ist das Verhalten auch dementsprechend chaotisch (siehe von Wasserrädern, Kochtöpfen und Wettervorhersagen). Chaotisch bedeutet hier, dass man eben nicht einfach irgendwo durch einen gezielten Eingriff (einzelne Synapsen manipulieren) ein gewolltes Ergebnis auf der Emergenzebene darüber (Bewusstsein) erzeugen kann, ohne den ganzen Kram einfach komplett auszuprobieren. So wie das beim bereits verlinkten Game of Life eben auch der Fall ist.

Das Weiterzuführen folgender Gedankenspiele sei dem interessierten Leser ( 😛 ) überlassen:

1) Ist unser Bewusstsein tatsächlich auf die Informationen, die physikalisch innerhalb unseres Körpers hinterlegt sind, begrenzt, oder zählen externe Hilfsmittel zur Informationsverwaltung dazu, also Zettel, Smartphones, PCs, Internet, Freunde, Lebenspartner usw.? Das, was wir lernen, und wie wir unser Verhalten steuern ist ja schon teilweise ziemlich von soetwas abhängig und unter Umständen ist man bei überraschendem Fehlen dieser Zusätze ähnlich behindert, als wenn einem jemand ein kleines Stückchen Gehirn herausgeschnitten hätte.

2) Was für ein ethisches Verhalten würden wir jemandem gegenüber haben, dem man ein paar Neuronen und einige Synapsen durch künstliche (ob aus Spaß, oder weil’s wegen einer Krankheit/Verletzung nötig war) ersetzt hat, die genau gleich funktionieren, und der Mensch (incl. seinem epiphänomenalen? Bewusstsein) danach immernoch der gleiche ist? (Inwiefern das technisch/biologisch machbar ist, und ob auf Kohlenstoff- oder Silizium-Basis sei mal dahingestellt, ich hypothetisiere ja nur.) Und wenn man nun noch mehr austauscht? Und wenn man alles ausgetauscht hat? Und was wenn man direkt von Anfang an künstlich gebaut hätte? Wär’s irgendwie gemein, die Gefühle des einen Bewusstseins zu respektieren und die des anderen (genau so komplexen) vollständig zu ignorieren, nur weil die seinen gedanklichen Symbolen zugrundeliegende Hardware eine andere ist? 😉

Uralte biologische Hacker

Parasiten haben ja manchmal schon recht nette Adaptionen. Beispielsweise gibt es eine Milbe, die gerne in den Ohren von Motten wohnt, diese damit aber leider gehörlos werden lässt. Da eine taube Motte die Ultraschall-Ortungs-Schreie von Fledermäusen nicht mehr hören und somit ausweichen könnte, wenn dieser Jäger es auf sie abgesehen hat, befällt die Milde immer nur ein Ohr. So hört die Motte noch und kann eventuell fliehen. Das ist ja nicht nur fein für die Motte, sondern vorallem ist so auch die Chance der Milbe auf Weitergabe möglichst vieler Kopien ihrer Gene höher.

Es geht aber noch wesentlich stylischer: Die Pilz-Art Ophiocordyceps unilateralis befällt Ameisen parasitär und schafft es irgendwie, das Zentralnervensystem ihrer Wirts-Ameise so zu hacken, dass sie ihr Verhalten ändert. Diese klettert dann nämlich irgendwo auf ein Blatt oder Zweig, wo die Lebensbedingungen für den Pilz optimal sind, beißt sich da fest, und stirbt. Der Pilz wächst dann gemütlich aus ihr heraus, freut sich seines schönen Nährbodens und kann von da aus wieder erneut mit Sporen um sich werfen, die hoffentlich wieder auf irgendwelchen Ameisen landen.

Dass sowas nicht nur bei psychologisch eher simpel gestrickten Insekten sondern auch bei Säugetieren funktioniert, zeigt das Toxoplasma gondii. Dieser Einzeller ist ein Parasit, der sich im Bauch von Katzen vermehrt und dann ausgeschieden wird. Wenn Nagetiere damit in Berührung kommen und davon befallen werden, schaffen diese Protozoen es, dass die olfaktorische Wahrnehmung des Nagers so zu verändern, dass sie den Geruch von Katzen (und deren Urin) nicht mehr abstoßend findet (wie sonst nämlich, was ja auch offensichtlich eine sinnvolle Adaption zum Überleben ist), sondern dass der die Maus/Ratte plötzlich auf diese Gerüche steht und gerne in die Nähe geht. Schon wird sie gefressen und das Protozoon beendet seinen Lebenszyklus wieder in der Katze.
Das nenn ich mal ne krasse Symbiose zwischen Katze und Parasit. Schon cool, was Koevolution so für lustige Sachen hervorbringt. (Übrigens: Ein noch komplexerer Fall wird hier (link) beschrieben.)

sneezeWie geil wäre es denn bitte, wenn auch unser Verhalten (vielleicht sogar Gedanken, Wünsche, sonstwas) in ähnlicher Weise von solchen Tierchen beeinflusst würde, wir es aber noch vor uns haben, das herauszufinden? 😀 Syphilis könnte die sexuelle Lust erhöhen, um sich besser zu verbreiten, und niesen wir wirklich als Abwehrreaktion, um den Erreger loszuwerden, oder bringt uns der Erreger vielleicht dazu, ihn auf diese Weise noch besser zu verteilen? 😉 Ganz so abwegig scheinen solche Überlegungen gar nicht zu sein. Selbst bei recht banal wirkenden Krankheiten (in diesem Fall Grippe) gibt es beispielsweise Hinweise darauf, dass wir uns nach einer frischen Infektion mit den Viren (z.B. Impfung) pro-sozialer (mehr zwischenmenschlicher Kontakt) verhalten, was aus Sicht der Viren-Gene ja auch sinnvoll wäre, da es die Chance auf weitere Verbreitung erhöhen würde. Außerdem könnte es sein, dass unsere Darmbakterien mitentscheiden, worauf wir Hunger haben. 😀